Das ArtiChoke-Festival küsst die alten Mauern wach!

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  1. Die erste Ausgabe des ArtiChoke-Urban-Art-Festivals
  2. Die berühmtesten Künstlerinnen und Künstler des ArtiChoke-Festivals 
  3. Der ArtiChoke Urban-Art-Rundweg von Estavayer-le-Lac und die Kunstschaffenden
  4. Interview mit Héléna Galera, Präsidentin des Artichoke-Urban-Art-Festivals
  5. Der Urban-Art-Rundweg in Estavayer-le-Lac, das Erbe des ArtiChoke-Festivals

Die erste Ausgabe des ArtiChoke-Urban-Art-Festivals 

Mit dem ersten ArtiChoke-Festival in Estavayer-le-Lac im Sommer 2019 hat das mittelalterliche Städtchen am Neuenburgersee einen neuen – bunten – Anstrich erhalten… und behalten! Denn die fröhlich-anregende Energie dieser Festival-Premiere hat sich in den alten Mauern eingebrannt. Der ArtiChoke-Rundweg lädt seither zum Eintauchen in das unerwartete und zeitgenössische Universum der Street Art.

Diese Freilicht-Kunstgalerie verpasst den Gassen des Broye-Hauptorts einen neuen Status: den der Westschweizer Street-Art-Hauptstadt. Sechzehn Schweizer und europäische Kunstschaffende haben den ArtiChoke-Rundweg von Estavayer-le-Lac gemeinsam erschaffen. Über Monate floss ihr Engagement in dessen Entstehung ein. 

Artichoke festival
© Pascal Gertschen

Das Resultat ist ein Schmuckstück und ganz im Einklang mit der Atmosphäre und der mittelalterlichen Architektur des Ortskerns. Zusammenspiel und Kontrast zwischen Historischem und Zeitgenössischem machen denn auch den besonderen Reiz des ArtiChoke-Rundwegs aus. Und das gefällt Besucherinnen und Besuchern jeden Alters.

Am 5. Juli 2019 war es soweit: Der Vorhang wurde gehoben und als Bühne gab man ‘tout’ Estavayer-le-Lac frei für die Premiere des ArtiChoke-Festivals. Es gab Konzerte, ein Set von DJs, künstlerische Animationen und Darbietungen sowie ein Foodtruck-Gelände, das den Besuchern das Wasser im Mund zusammenlaufen liess.

Die Erwartungen der 15’000 Gäste des ersten ArtiChoke-Festivals wurden denn auch nicht enttäuscht, weder künstlerisch noch kulinarisch. Dem Städtchen Estavayer-le-Lac war es vollauf geglückt, sich von einer dynamischen und vielleicht überraschenden Seite zu präsentieren.

Eine bunt schillernde Programmierung

Am Freitag, 5. Juli, haben die DJ Chook, Roach, Vince, Neg Marrons, Dissipé, Idem & Bouga das Feuerwerk auf der grossen Bühne der Place de Moudon entzündet. Am Samstag, 6. Juli wurden die Elektro-Fans beglückt, u.a. mit Sounds von Aeroplane, Curl Av, Flexfab oder Dexter Troy.

Auch die Tanzkunst wurde gewürdigt, etwa mit Auftritten von Mastazz oder Idream, Gesang und Gitarre ebenso dank June, Pauline und Yann, Slam mit Honorable Scarabée. Am Sonntag ging das ArtiChoke-Festival weiter mit Improvisationstheater, Tanz und Blasmusik.

Der Workshop zum Arbeiten mit Schablonen von der Urban Art Academy aus Martigny war ein grosser Erfolg. Endlich konnte jede und jeder sich an die Graffiti-Kunst heranwagen und die delikate Handhabung der Spraydose selbst erleben. Da schwang auch etwas vom Reiz des Verbotenen mit… denn wann ist es schon erlaubt, fremde Mauern mit Fresken zu überziehen? 

Abgerundet wurde das erste ArtiChoke-Festival vom Juli 2019 in Estavayer-le-Lac durch verschiedene, spektakuläre Live-Performances.

Die berühmtesten Künstlerinnen und Künstler des ArtiChoke-Festivals

Saype

Mit von der Partie beim ersten ArtiChoke-Festival war auch Saype, ein überragender, für seine monumentalen Bilder bekannter Künstler. Im 2019 wurde er den 30 weltweit einflussreichsten Persönlichkeiten (< 30-jährig) in Kunst und Kultur zugerechnet. Saype erhielt vom ArtiChoke-Festival eine Spezialeinladung. Ausserhalb jeder Norm sind auch seine gigantischen Werke, welche er rund um den Globus installiert.

International bekannt ist insbesondere seine Land-Art-Serie „Beyond Walls„. Für seine vergänglichen Kreationen wurden Saype schon die symbolträchtigsten Orte der Welt zur Verfügung gestellt: die Champ de Mars in Paris, das ehemalige Niemandsland von Berlin, die Plaza General San Martín de Buenos Aires, der Platz des Monuments der Nationalhelden von Ouagadougou und weitere mehr.

In Estavayer-le-Lac war es die offene Fläche zwischen der Stadt und dem Freizeithafen, welche Saype – er malt direkt auf die Wiese – als vergängliche Leinwand diente.

Sein Sujet zeigte einen Mann, der auf einem Stuhl sitzend seine Pfeife raucht und in einem Buch liest. Dieses friedliche Bild konnten die Besucher des ArtiChoke-Festivals vom ‘idealen’ Schauplatz der Place Saint-Claude aus betrachten.

Werk Artichoke festival
© Pascal Gertschen

Für seine imposanten Fresken verwendet der Künstler 100% biologisch abbaubare Farbe. Kohle für Schwarz, Kreide für Weiss und ein wasserfestes Bindemittel auf Basis von Milch. Wenn das Gras nachwächst, verformt es zuerst und löscht anschliessend nach und nach die Linien. Die Werke von Saype sind somit vergänglich, sie sind den Unwägbarkeiten der Witterung ausgesetzt.

Mademoiselle Maurice

Mademoiselle Maurice ist eine bildende Künstlerin aus der französischen Haute-Savoie. Hier erlebte sie ihre Kindheit in sehr ländlicher Umgebung. Und damals schon entstand ihre ausgeprägte Sensibilität für die Natur, welche sie bis heute auch in ihren Werken verteidigt.

Nach einem Jahr in Japan entdeckte sie Origami, was zu ihrem Markenzeichen werden sollte. Ihr gelingt die Herausforderung, diese zart-feine Papierfaltkunst mit ihrem eigenen Stil als Street-Art-Künstlerin zu kombinieren. Ihr Werk „Cycle astral“ (Sternenzyklus) ist ein Meisterwerk, sowohl punkto Feinheit der Arbeit wie auch bezüglich des verblüffenden Effektes der Farben.

Das muss man sehen! Dafür begibt man sich einfach zum Kreisel bei der Post von Estavayer-le-Lac. Mademoiselle Maurice liebt den Rausch der Farben, das ist unübersehbar! Für die Künstlerin ist es entscheidend, dass ihre Werke eine positive Ausstrahlung haben, das Grau der Strassen überstrahlen und den Passanten ein Lächeln ins Gesicht zaubern.

Ihre ersten Origami-Installationen realisierte sie aus Papier. Inzwischen ist sie dazu übergegangen, Metall zu verwenden und ihre Kreationen so dauerhaft zu machen. Die Arbeit in den Städten erlaubt ihr, Kunst für alle anzubieten, und – gerade auch im Moment der Entstehung eines Werkes – mit den Menschen im Kontakt zu stehen.

Koralie & SupaKitch

Das Künstlerpaar Koralie & SupaKitch, Coralie (Montpellier, 1977) und Guillaume Grando (Paris, 1978) bildet ein unzertrennbares Duo. Sie hat ein Architekturstudium absolviert, während ihr Partner tagsüber Grafische Gestaltung studierte und nachts zum Sprayer wurde.

Ihre Arbeiten erfreuen sich weltweiten Erfolgs, und sie arbeiten regelmässig mit internationalen Marken zusammen. Die Inspirationen für ihre bezaubernden floralen Fresken gewinnen sie auf Reisen oder von der Natur. Die Wiederholung von grafischen Elementen kreiert Rosetten, die an Mandalas mit einem Hauch von Art Deco erinnern.

Das ArtiChoke-Festival realisierte ein Video, welches die überaus sorgfältige Arbeit für das Werk univers unique aufzeigt. Auf einer grossen Mauerfläche präsentiert das Künstlerpaar ein grafisches Konzept, welches die Zufallsbewegungen von Wasser bildhaft macht. Herrlich erfrischend für die Zuschauer!

Der ArtiChoke Urban-Art-Rundweg von Estavayer-le-Lac und die Kunstschaffenden

  1. Serge Lowrider/Place du Casino
  2. Albin Christen/Ecole, Route d’Yverdon 7
  3. L’Original/Place des Bastians 1
  4. Mademoiselle Maurice/Rond-point de la Poste, Route du Port
  5. Koralie&SupaKitch/Route du Port 12
  6. Célia Savary/Ruelle du Bordet
  7. Raquel Rodrigo/Grand-Rue 40
  8. Ride in Peace/Passage des Egralets
  9. Levalet/rue Saint-Laurent 4
  10. Saype/ Point de vue, Place Saint-Claude
  11. Dahflo/Rite à Pajot, Rue du Four 10
  12. Gobio/Impasse des Jardins
  13. LPVD*A/Rue du Musée 4
  14. Anaëlle Clot/Route de la Chappelle 12A
  15. Aurèle Duffey (Relovn)/Place Nova Friburgo
  16. François Burland/Rond-point de la Cascade

Interview mit Héléna Galera, Präsidentin des ArtiChoke-Urban-Art-Festivals

Mit Leidenschaft und Ausdauer haben Héléna Galera und ihr Team im mittelalterlichen Stadtkern von Estavayer-le-Lac einen Urban-Art-Rundgang geschaffen. Eine wahre Meisterleistung und ein neuer Trumpf für das Städtchen, das bislang vor allem für seine Wassersport-Aktivitäten bekannt war.

Street-Art in Estavayer-le-Lac, wie kamen Sie auf diese Idee?

Auf meinen Reisen verfolge ich stets aufmerksam, was sich an Mauern und Wänden abspielt und in welchem Stil was realisiert wird. Barcelona, New York, aber auch Valencia oder Bali sind eindrückliche und inspirierende Beispiele.

Ich hatte Lust, diese neue Sicht auf Altbekanntes auch in meiner Lieblingsstadt möglich zu machen. Mit diesem alternativen Projekt können wir unsere Besucher überraschen.

schöpfer artichoke festival
Héléna Galera © Pascal Gertschen

Der Begriff Street-Art ist generell noch erklärungsbedürftig, er steht für weit mehr als nur Tags und Graffitis. Mit dem ArtiChoke-Rundgang können wir zeigen, wie respektvoll urbane Kunst mit alten Mauern umgeht und der Stadt so einen echten Mehrwert beschert. Das Konzept interessiert übrigens auch andere Gemeinden.

Was waren die hauptsächlichen Herausforderungen?

Ganz ehrlich, zuerst dachte ich, die Umsetzung sei unrealistisch, aber bald war unser 14-köpfiges Komitee von sehr effizienten Partnern umgeben. Mit der Stadt arbeiteten wir Hand in Hand daran, die notwendigen Kompromisse zu finden, welche kulturellen und denkmalpflegerischen Ansprüchen genügen.

Anfänglich hatten wir 90 Orte als Wirkungsstätten für die Kunstschaffenden vorgeschlagen. Am Ende aller Diskussionen blieben noch acht bis zehn übrig. Danach galt es herauszufinden, welche Künstlerin und welcher Künstler sich den Einschränkungen der einzelnen Orte beugen kann: Hier keine Schrauben, da keine Farbe, dort eine vordefinierte Grösse…

Natürlich mussten alle Besitzer ihre Zustimmung erteilen, bevor sie genau wussten wofür. Ich bin sehr zufrieden, dass die Leute uns vertraut haben und das Projekt mittragen.

Wie reagieren die Einheimischen auf die Street-Art?

Heute kontaktieren uns Hausbesitzer, um dem ArtiChoke-Rundgang ihre Mauern anzubieten. Das verstehen wir als Kompliment. Die meisten Einheimischen identifizieren sich mit den Werken. Sie sind überzeugt, dass diese die Stadt verschönern. Es ist uns gelungen, ein respektvolles Gleichgewicht zwischen zeitgenössischer Kunst und mittelalterlicher Architektur zu finden.

Wie funktioniert der ArtiChoke-Rundgang?

Der Parcours wurde als Galerie unter freiem Himmel konzipiert. Es gibt eine Karte zum Herunterladen unter www.artichokefestival.ch oder www.estavayer-payerne.ch. Eine kostenlose gedruckte Version erhält man beim Tourismusbüro der Stadt. Wer mehr über die Kunstschaffenden und ihre Inspiration erfahren möchte, kann dort ein Portfolio erwerben oder eine geführte Besichtigung buchen. Für den gesamten Rundgang sollte man etwas mehr als 1 Stunde rechnen.

Können Sie die Arbeit der Künstlerinnen und Künstler beschreiben?

Das ist ganz unterschiedlich. Während die einen ihr Werk vorab im Atelier erschaffen, arbeiten andere direkt auf die Mauer. Um ihre Installation aus 788 Origami-Stücken aus Metall aufzubauen, hat die Französin Mademoiselle Maurice drei ganze Tage gebraucht. Das riesige Kreuzstich-Rosenbild in der Grand-Rue 40 hat Raquel Rodrigo in ihrem spanischen Atelier mit Hilfe von vier Personen realisiert und danach in einem Tag installiert. Auf dem Rundgang werden die Besucher auf jeden Fall entdecken, dass Street-Art viel mehr als nur Malerei bedeutet.

Was bedeutet der Name ArtiChoke?

Wir wollten das Wort „Art“ mit „Choc“ (Schock) kombinieren. Dies als Anspielung des Zusammenpralls von mittelalterlichen Mauern und zeitgenössischer Urban-Art. Wir wollten einen Namen finden, der aus dem Rahmen fällt, überrascht und … Artischocken sind übrigens im Trend!

Der Urban-Art-Rundweg in Estavayer-le-Lac, das Erbe des ArtiChoke-Festivals

Die Einwohner von Estavayer-le-Lac haben eine entscheidende Rolle gespielt, damit das ArtiChoke-Festival und der Rundweg zum Erfolg wurden. Ohne das Ergebnis im Voraus zu kennen, haben sie den Kunstschaffenden vertrauensvoll ihre Mauern zur Verfügung gestellt. Das verblüffende Resultat ist unwidersprochen ein origineller Mehrwert für die Stadt und ihre Umgebung.

Korridor Artichoke festival
© Pascal Gertschen

Das Städtchen Estavayer-le-Lac stellt damit für Gäste der Region Freiburg ein attraktives und etwas anderes Etappenziel am Ufer des Neuenburgersees dar. Die Liebhaber moderner Kunst ihrerseits finden hier einen überraschenden Schauplatz für neue Erkundungen nach ihrem Geschmack. Und last but not least: Wer gerne fotografiert, kann dies auf dem ArtiChoke-Rundweg ganzjährig vor einmaligen Kulissen ausleben.

Der Urban-Art-Rundweg kann in beide Richtungen und sowieso nach Lust und Laune erkundet werden. Ein gemütlicher Spaziergang, einfach der Nase nach, führt unweigerlich zu Zeichnungen, Skulpturen und Installationen. ArtiChoke eben! 

Die Altstadt von Estavayer-le-Lac derart zeitgenössisch zu beleuchten, ist ein kühner und innovativer Impuls, der auch die mittelalterliche Kunst neu erleben lässt. Die Gässchen mit ihren Details, sanft abfallende Treppen-Wege, enge Passagen und halb versteckte Gärtchen: Überall warten kleine Entdeckungen. Sie laden ein, wieder einmal aufmerksam hinzuschauen.

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